Ein möglicher Verstoß des Arbeitgebers gegen arbeitnehmerschützende Vorschriften (hier: Mindestlohngesetz) kann nicht zur Versagung von Kindergeld für einen freizügigkeitsberechtigten EU-Staatsangehörigen in Deutschland führen. Auch eigene strafrechtliche Verurteilungen des Arbeitnehmers allein würden nicht dazu führen, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeschränkt werden kann. So entschied das Finanzgericht Baden-Württemberg (Az. 1 K 2050/22).
Der Kläger ist südosteuropäischer EU-Staatsangehöriger und der leibliche Vater eines Kindes, für das er seit März 2016 Kindergeld erhält. Das Kind ist bei der Mutter in Südosteuropa, wo auch der Kläger lebt, wenn er nicht in Deutschland arbeitet. Der Kläger ist seit April 2014 in Deutschland nichtselbstständig tätig und lebt in der Zeit seiner Arbeitstätigkeit in einem Wohncontainer, welchen die Arbeitgeberin zur Verfügung stellt. Ein schriftlicher Mietvertrag liegt nicht vor. Als Entgelt für die Nutzung wird pauschal vom Lohn ein Abzug vorgenommen. In welcher Höhe, ist nicht bekannt. Der Kläger erhält von der Arbeitgeberin keine Lohnabrechnungen. Die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers liegt bei mindestens acht Stunden pro Tag bei einer Sieben-Tage-Woche. In den Monaten, in denen sich der Kläger in Südosteuropa aufhält, hat er seiner Arbeitgeberin keine Miete zu zahlen, da er in diesen Monaten auch keinen Arbeitslohn (Urlaubsentgelt) erhält und auch bei der Sozialversicherung (Versicherung) abgemeldet wird. Die beklagte Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung von Januar 2019 bis einschließlich April 2020 sowie von Februar bis Dezember 2021 auf und forderte überzahltes Kindergeld zurück. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Arbeitnehmer stelle keine Beschäftigung im Sinne der VO Nr. 883/2004 dar, da es sich um ein illegales Beschäftigungsverhältnis handele, mit dessen Durchführung Straf- und Ordnungswidrigkeiten begangen würden. Der Kläger erhob gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid erfolglos Einspruch.
Das Finanzgericht gab dem Kläger jedoch Recht. Er sei als freizügigkeitsberechtigter Staatsangehöriger eines anderen EU-Mitgliedstaates nach den nationalen Vorschriften kindergeldberechtigt. Freizügigkeitsberechtigt sei ein Staatsangehöriger eines anderen EU-Mitgliedstaates nach Begründung des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland, wenn er Arbeitnehmer sei oder sich zur Berufsausbildung im Inland aufhalte. Vorliegend sei der Kläger Arbeitnehmer gewesen und während seines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland unstreitig einer nichtselbstständigen Arbeit nachgegangen. Dass in diesem Arbeitsverhältnis möglicherweise gegen das Mindestlohngesetz verstoßen worden sei und sich die Arbeitgeberin strafbar gemacht haben könnte, ändere daran nichts. Auch könne die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU nur aufgrund des Ordre-Public-Vorbehalts in Art. 45 Abs. 3 AEUV eingeschränkt werden. Selbst strafrechtliche Verurteilungen des Arbeitnehmers allein seien dafür nicht ausreichend.
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